Antrag: Zukunft der Demokratie sichern – Starke demokratische Bildung für starke demokratische Bürgerinnen und Bürger
Fraktion der SPD
Fraktion Bündnis 90 Die Grünen
Der Landtag wolle beschließen:
Entschließung
Unsere Demokratie steht vor großen Herausforderungen. Gesellschaftliche Umbrüche und viele gleichzeitige Krisen führen dazu, dass sich viele Menschen ins Private zurückziehen. Gleichzeitig nehmen die Radikalisierung und der Rechtsextremismus zu, was unsere Grundwerte und unser Zusammenleben bedroht. Das Wahlverhalten junger Menschen ist nach den letzten Wahlen (Europawahlen und Bundestagswahl) stärker in den Blickpunkt gerückt und damit auch die Forderung nach mehr Demokratiebildung in Schule.
Die Aufgabe der Demokratiebildung ist dringlicher denn je. Demokratiebildung soll junge Menschen dazu befähigen, dass sie fundiert, selbstbestimmt und reflektiert Entscheidungen treffen können – auch im Hinblick auf demokratische Wahlen. Angesichts einer zunehmenden Demokratieskepsis und -gegnerschaft und einer Zunahme autoritärer Einstellungen bei jungen Menschen ist es wichtiger denn je, Demokratiebildung in Schulen zu stärken und auszubauen. Dabei stellt sich die Frage nach der Rolle schulpraktischer Entwicklungen zur Förderung demokratischer Handlungskompetenz. Junge Menschen brauchen echte Möglichkeiten der Mitbestimmung, Anreize und Unterstützung, um eine Kultur der Diskussion und des Dialogs zu lernen und Selbstwirksamkeit zu erfahren. Dafür sind Bildungsangebote und –Maßnahmen wichtig, in denen Schülerinnen und Schüler nicht nur theoretisch Demokratie lernen, sondern Demokratie in ihrem Schulalltag erleben können. Sie brauchen Räume, in denen sie selbst aktiv mitgestalten können! Demokratie zu erleben bedeutet, sich anerkannt und zugehörig zu erleben, mitzuwirken und Verantwortung zu übernehmen.
Bildungseinrichtungen, vor allem Schulen, spielen dabei eine zentrale Rolle. Sie sollen junge Menschen dazu vorbereiten, sich in der modernen Gesellschaft zurechtzufinden und sie dabei unterstützen, sich mit zukünftigen Herausforderungen zu beschäftigen. Das Ziel ist es, sie dazu zu befähigen, aktiv am politischen und gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Dabei orientieren wir uns an den Zielen der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung (SDGs). Besonders wichtig ist die Förderung von „Good Governance[1]“ und die Stärkung demokratischer Prozesse. So können junge Menschen in Niedersachsen die Fähigkeiten entwickeln, ihre Zukunft aktiv mitzugestalten. Mitwirkung fördert Gleichberechtigung zwischen den Generationen, stärkt die Selbstverantwortung und führt zu einer stärkeren Verbindung mit unserem demokratischen System. Denn: Politische Beteiligung ist die Grundlage unserer Gesellschaft. Gleichzeitig machen junge Menschen einen großen Teil unserer Gemeinschaft aus. Deshalb hat sich die Landesregierung zum Ziel gesetzt, sie stärker politisch zu beteiligen.
Mitbestimmung und Selbstständigkeit sollen aber nicht nur theoretische Themen im Unterricht sein. Bildungsprozesse müssen so gestaltet werden, dass Demokratie erlebbar ist. Beteiligung und Demokratie bedingen sich gegenseitig, und junge Menschen sollten in allen gesellschaftlichen Bereichen in Entscheidungen einbezogen werden. Dazu ist es nötig, ihnen Möglichkeiten zur Gestaltung unserer Demokratie zu geben. Nur so können sie Verantwortung für unser gesellschaftliches Zusammenleben übernehmen und den Wert einer demokratischen Gesellschaft erfahren.
Vor diesem Hintergrund begrüßen wir die zahlreichen Bestrebungen in verschiedenen Ministerien, um demokratische Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen zu stärken, z. B.:
- Die Durchführung der Initiative „Demokratisch gestalten – Eine Initiative für Schulen in Niedersachsen“, in welcher das Niedersächsische Kultusministerium Schulleitungen, Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler, Mitglieder des Landeseltern- und Landesschülerrates, Schulträger, Bildungskoordinatorinnen und Bildungskoordinatoren, politische und fachliche Verbände, Bildungsträger, Hochschulen, Gedenkstätten, anerkannte außerschulische Lernorte und Akteurinnen und Akteuren aus der Friedenspädagogik zusammenführt, um gemeinsam Jugendliche in ihrem Engagement für Demokratie und Menschenrechte zu stärken sowie Teilhabe und Partizipation auszubauen.
- Den Demokratiebildungserlass und den BNE-Erlass, die wichtige Schritte unternehmen, um Bildungsinhalte zu vermitteln, die auf eine nachhaltige und demokratische Gesellschaft ausgerichtet sind. In diesem Zusammenhang begrüßen wir auch die Einführung der Fachaufgabe Demokratiebildung und damit einhergehend die Verankerung der Fachberatung Demokratiebildung an den Regionalen Landesämtern für Schule und Bildung.
- Die Bestrebungen der Landesregierung, eine Aufgabenerweiterung der Landeszentrale für politische Bildung vorzunehmen und Angebote stärker auf Schule vorzunehmen.
- Das Programm „Kinderrechte Schulnetzwerk mit UNICEF“, das Schule dabei unterstützt Kinderrechte in ein ganzheitliches Schulkonzept aufzunehmen, indem die Lehr- und Fachkräfte der Grundschule fortgebildet werden und sich intensiv mit den Themen Beteiligung, Vielfalt und Nicht-Diskriminierung, Gewaltprävention und Kinderrechte global auseinandersetzen.
- Die Verankerung von Prinzipien und Maßnahmen einer demokratischen Schulkultur als Aufgabe der Schulleitung in der Schulleitungsqualifizierung.
- Den Aufbau und die Weiterentwicklung des Netzwerks der „Ausgezeichneten Demokratieschulen“ und der „Ausgezeichneten Lernorte der Demokratie“.
Der Landtag bittet die Landesregierung:
Die Demokratiebildung im Schulwesen in den folgenden Säulen weiter zu stärken:
a) strukturelle Verankerung von Beteiligung und Entwicklung demokratischer Strukturen sowie Ausbau der Mitwirkungs- und Beteiligungsmöglichkeiten und
b) Empowerment und Stärkung demokratischer Lernfelder und Handlungsfähigkeiten von Schülerinnen und Schülern
Die erste Säule umfasst
- Die Stärkung der aktiven Beteiligung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Schule in geeigneter Weise (z. B. Klassenräte, schulische Gremien, Zukunftswerkstätten im Rahmen von Schulentwicklungsprozessen oder weitere geeignete Modelle) auszubauen und zu vertiefen.
- Im Rahmen der Überarbeitung der Kerncurricula (KC) der gesellschaftswissenschaftlichen Fächer Demokratiebildung als fächerübergreifendes Prinzip im Unterricht (nicht nur in den Kernfächern der politischen Bildung) noch besser zu verankern. Dabei sollen auch die Behandlung historisch-politischer Themen und globalgeschichtliche Perspektiven im Kontext der Demokratiegeschichte für den Geschichtsunterricht in Niedersachsen betrachtet werden.
- Die Verzahnung von „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (BNE) und Demokratiebildung weiter voranzutreiben, indem gezielte Weiterbildungsangebote für BNE-Verantwortliche entwickelt werden sowie die Zusammenarbeit mit außerschulischen „Lernorten Demokratie“ als Vorbilder für innovative Demokratieansätze zu stärken und auszubauen.
- Demokratiebildung als Teil der Schulentwicklung zu verankern und Schulen auch hier Unterstützung und Begleitung bei Schulentwicklungsprozessen zu bieten.
- Eine Prüfung, wie in Bezug auf das Schulbudget das Thema Demokratiebildung verankert werden kann und inwiefern Schülerinnen und Schüler in den Entscheidungsprozess eingebunden werden können.
- Die Entwicklung von Formaten zur Stärkung eines demokratischen Grundverständnisses und demokratischer Urteils- und Handlungskompetenz, die sich insbesondere an benachteiligte und marginalisierte Kinder und Jugendliche wenden.
Die zweite Säule umfasst:
- Schulen dabei zu unterstützen, Strukturen zu schaffen, die Schülerinnen und Schüler befähigen, eigene Ideen und Projekte umzusetzen sowie die Beteiligung von Schülerinnen und Schülerbeteiligung zu fördern.
- In Zusammenarbeit mit dem Niedersächsischen Landesamt für Qualitätssicherung (NLQ), zivilgesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren sowie Verbänden und Organisationen Fortbildungs-, Empowerment- und Qualifizierungsangebote in den Themenfeldern „Demokratiebildung“ und „diskriminierungskritische Bildung und Partizipation im Sinne nachhaltiger Entwicklung“ einzurichten, u. a. um marginalisierte Gruppen besser zu erreichen.
- Schulen dabei zu unterstützen, die schuleigenen Präventions- und Gewaltschutzkonzepte um Aspekte von „Kinderschutz“ zu erweitern, sowie „Diskriminierung“, „Demokratiefeindlichkeit und Rechtsextremismus“ sowie „Antisemitismus“ als Formen von Gewalt aufzunehmen mit dem Ziel, diese Aspekte zu bearbeiten und abzubauen.
- Die Medienbildung zu stärken und Medienkompetenz zu fördern: Schülerinnen und Schüler sollen befähigt werden, sich im Netz Informationen für ihre politische Urteilsbildung zu beschaffen und diese Informationen einordnen zu können, sie kritisch zu reflektieren sowie Quellen zu prüfen, um Desinformationen besser zu erkennen.
- Die Wirksamkeit der demokratiebildenden Maßnahmen regelmäßig zu überprüfen und ggf. weiterzuentwickeln.
Begründung
Der Erwerb von demokratischen Kompetenzen ist neben fachlichem Wissen und Chancengerechtigkeit eine der wichtigsten Aufgaben von Schulen. Aufgrund der Schulpflicht müssen alle Kinder und Jugendlichen in Deutschland zur Schule gehen. Deshalb sind Schulen zentrale Orte, an denen junge Menschen lernen, verantwortungsvolle und selbstbewusste Bürgerinnen und Bürger zu werden. Mit dem geplanten Ausbau der Ganztagsangebote ab 2026 wird die Schule noch wichtiger, weil sie zunehmend das Zentrum des täglichen Lernens wird. In der Schule sollen die Schülerinnen und Schüler lernen, Informationen kritisch zu bewerten, sie zu hinterfragen und logische Schlüsse zu ziehen. Demokratiebildung ist deshalb nicht nur ein Lernziel und ein wichtiger Teil der Schulausbildung, der für eine verantwortungsvolle und aktive Gesellschaft unverzichtbar ist. Studien wie die des Deutschen Kinderhilfswerks zeigen, dass Menschen politisch aktiver werden, wenn sie schon als Kinder die Möglichkeit zur Mitbestimmung hatten.
Die Verankerung der Demokratiebildung als festen Bestandteil der Schulentwicklung ist von grundlegender Bedeutung, um eine Kultur der Partizipation und des kritischen Denkens zu fördern. Dies ist entscheidend, um Schülerinnen und Schüler auf ihre Rolle als aktive Teilnehmerinnen und Teilnehmer in einer demokratischen Gesellschaft vorzubereiten. Die Notwendigkeit, Demokratiebildung zu stärken, ergibt sich nicht nur aus dem Bedarf, junge Menschen politisch zu bilden, sondern auch aus der Chance, sie aktiv in die Gestaltung ihrer Bildungswege einzubeziehen. Dies fördert ihr Verständnis für demokratische Prozesse und stärkt ihr Engagement und ihre Selbstwirksamkeit. Das hat die erste Säule zum Ziel.
Mithilfe der zweiten Säule wollen wir das Fachwissen und die persönlichen Handlungsmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler, Eltern und pädagogischen Mitarbeitenden im Sinne einer dialogischen Lernkultur stärken. Durch die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen und anderen Bildungspartnern können Schulen ein breites Spektrum an Perspektiven und Erfahrungen in die Demokratiebildung einfließen lassen. Die Unterstützung der Schulen beim Aufbau von Strukturen, die Schülerinnen und Schüler befähigen, eigene Projekte zu initiieren und an schulischen Entscheidungsprozessen teilzunehmen, ist essentiell. Eine solche strukturelle Förderung der Demokratiebildung zielt darauf ab, nicht nur die individuellen demokratischen Kompetenzen zu entwickeln, sondern auch die institutionelle Resilienz gegen antidemokratische Tendenzen zu stärken. Durch die Implementierung von Strukturen, die Partizipation und Engagement fördern, werden Schulen zu Modellen für demokratisches Handeln. Diese Anpassungen sind entscheidend für die Schaffung einer Bildungsumgebung, die allen Schülerinnen und Schüler, unabhängig von ihren mitgebrachten Kompetenzen, die Möglichkeit bietet, ihre Meinung zu äußern und an der Gestaltung ihrer Bildung mitzuwirken.
In einer zunehmend digitalisierten Welt, in der Soziale Medien eine zentrale Rolle spielen, ist es wichtig, Quellen zu reflektieren und Informationen einzuordnen. Mediale Darstellungen dienen als Basis einer rationalen demokratischen Entscheidung, daher ist eine Meinungsbildung auf Grund von vielfältigen Informationen nötig. Eine umfassende Verankerung demokratischer bzw. partizipativer Elemente in Schule bereitet junge Menschen auf eine aktive und kritische Teilnahme am gesellschaftlichen Leben vor. Die Einführung der Ganztagsschule bietet hier eine wertvolle Chance: Viele Ganztagsschulen arbeiten verstärkt mit außerschulischen Partnern aus der Jugendarbeit zusammen, die oft vielfältige Mitwirkungsmöglichkeiten für Kinder vorsehen.
Dies stärkt nicht nur ihre politischen und sozialen Fähigkeiten, sondern trägt auch zu einer gerechten und demokratischen Gesellschaft bei.
[1] Mit „Good Governance“ ist eine gute Regierungsführung zu verstehen. Gute Regierungsführung ist transparent, legt Rechenschaft ab und beteiligt alle Menschen an den Entscheidungen.